Ernst Ludwig Kirchner, Badende (Fehmarn), 1912, Osthaus Museum Hagen, Fotografie: Achim Kukulies, Düsseldorf


Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)
Badende (Fehmarn), 1912
Öl auf Leinwand


Fernab der großstädtischen Betriebsamkeit Berlins weilte Ernst Ludwig Kirchner in den Sommermonaten der Jahre 1912 bis 1914 bevorzugt auf der Ostseeinsel Fehmarn, um in und nach der Natur zu malen. Schwärmerisch äußerte sich der Künstler über die Schönheit der Insel und nannte sie sein »irdisches Paradies«. Hier entstanden 120 Ölbilder der Küste und ihrer Umgebung, vom Leuchtturm Staberhuk und immer wieder von Badenden. 1912 schrieb Kirchner seinem Freund Gustav Schiefler: »Ich habe Bilder gemalt von absoluter Reife, soweit ich das selbst beurteilen kann. Ocker, Blau und Grün sind die Farben von Fehmarn, wundervollste Küstenbildung, manchmal von Südseereichtum, tolle Blumen mit fleischigen Stielen und dazu eine durch Inzucht ziemlich degenerierte Bevölkerung.«

Die »Farben von Fehmarn« bestimmen auch Bildaufbau und Ausdruck des Hagener Bildes. In Begleitung seiner Lebenspartnerin, der Tänzerin Erna Schilling, reiste Kirchner 1912 das erste Mal auf die Insel. Besuch erhielt das Paar vom Malerfreund Erich Heckel und dessen Freundin Sidi Riha. Für die Badenden könnte Kirchner die Frauen als Modelle herangezogen haben. Schon während ihrer Ausflüge an die Moritzburger Seen in den Jahren 1908 bis 1910 dienten Bekannte oder Freundinnen den »Brücke«-Künstlern als Modelle. Die prüden Moralvorstellungen des wilhelminischen Zeitalters ablehnend, badete man nackt und bewegte sich ungezwungen in der Natur. Es entstanden Aktbilder von unverfälschter Sinnlichkeit.

So zeigt Badende (Fehmarn) zwei weibliche Figuren in natürlicher Nacktheit selbstbewusst vor der Kulisse eines Sommertages am Meer. Mächtige Findlinge liegen am Strand. Am hochgezogenen Horizont zieht ein Fischerboot vorbei. Anatomische Richtigkeit und mimetische Ähnlichkeit waren dem Künstler bei der Ausführung der Figuren unwichtig. Formal vereinfacht, ganz dem Ausdruck dienend, hat der Künstler die Akte mit wenigen kräftigen Pinselzügen in Schwarz und Grün umrissen. In ihrer kantig expressiven Auffassung lassen die Akte formale Parallelen zu den von außereuropäischen Kulturen inspirierten Skulpturen erkennen, die Kirchner seit 1906 in Holz fertigte. Diese archaisierenden Bildwerke wie auch das Bild der zwei Badenden thematisieren gleichermaßen die Sehnsucht Kirchners und seiner Mitstreiter der Künstlervereinigung »Brücke« nach einem Lebensideal, das von vorzivilisatorischer Ursprünglichkeit und Unverfälschtheit geprägt sein sollte, von einem neuen Arkadien. Der Mensch sollte unbelastet und glücklich im Einklang mit der Natur leben. Der Akt in der Natur avancierte zu einem der wichtigsten Motive und sollte ganz Ausdruck der Lebensfreude und der Einheit zwischen Mensch und Natur sein. Kirchner hing lebenslang seinem Traum von Arkadien nach. Auf Fehmarn bekannte er: »Hier erlebte ich die letzte Einheit von Mensch und Natur.«