Paula Modersohn-Becker, Mädchen mit Lamm, um 1904, Osthaus Museum Hagen, Fotografie: Achim Kukulies, Düsseldorf


Paula Modersohn-Becker (1876–1907)
Mädchen mit Lamm (Brustbild eines Mädchens mit Lamm im Arm), um 1904
Öl auf Pappe


Ein Mädchen, hinterfangen von drei Baumstämmen und bekleidet mit einem dunklen graubraunen, leicht getupften Kleid, hält in seinen Armen ein kleines Lamm. Mit dem Anflug eines Lächelns auf den Lippen und pupillenlosen, leicht geschlossenen dunklen Augen, die den Eindruck erwecken, als sei der Blick nach innen gerichtet, scheint die Kleine ganz in sich selbst zu ruhen. Das Mädchen ist mit seiner Umgebung förmlich verschmolzen, denn sowohl die Bäume, die nicht näher definierte Vegetation des Hintergrundes als auch die Kleidung des Kindes sind in dominierenden erdigen Farbtönen gehalten. Selbst das weiße Fell des Lammes und das rosige Gesicht des Kindes sind durch Brauntöne gebrochen. Auffällig ist der grobe, geradezu derbe Farbauftrag. Er lässt keine feinen Nuancierungen zu, betont die Einfachheit der Formen und verhindert, dass das Bild jene lyrisch-stimmungsvolle Sentimentalität der damals beliebten genrehaften Landschafts- und Bauernmalerei ausstrahlt.

Paula Modersohn-Becker hat das Bild um 1904 in dem kleinen Dorf Worpswede am Rande des Teufelsmoores nahe bei Bremen gemalt. Dort hatte sich eine kleine Künstlerkolonie zusammengefunden, in der die aus gutbürgerlichem Hause stammende Paula Becker nach einer konventionellen Malereiausbildung beim »Verein Berliner Künstlerinnen« erste Anregungen für ihre weitere künstlerische Entwicklung gefunden hatte. Doch schon bald war ihr der Horizont der Worpsweder Künstler, zu denen Fritz Mackensen, Heinrich Vogeler und ihr späterer Ehemann Otto Modersohn gehörten, zu eng. Seit 1900 pendelte die Malerin fast alljährlich zwischen der Abgeschiedenheit des Moordorfes und der Stadt Paris, dem damals äußerst vitalen Mekka der Moderne. »Paris ist wundervoll, aber man braucht Nerven, starke, frische, aufnahmefähige«, schrieb sie 1903 begeistert an Otto Modersohn. Hier kam sie nicht nur mit der zeitgenössischen Kunst in Kontakt. Ebenso studierte sie im Louvre die alten Meister sowie die Kunst der Antike und des Mittelalters. Aus alledem sog sie ihre künstlerische Nahrung, um »in Einfachheit groß zu werden«, wie sie 1903 nach ihrer Rückkehr aus Paris im Tagebuch notierte. »Von jeher habe ich mich bemüht, den Köpfen, die ich malte oder zeichnete, die Einfachheit der Natur zu verleihen. Ich will in Worpswede viel mehr zeichnen. Ich will mir die Armenhauskinder zu Gruppen stellen. Ich freue mich sehr auf die Arbeit.«

Das Mädchen auf dem Bild ist eines dieser von der Härte des Lebens gezeichneten Armenhauskinder. Gleichwohl entdeckte Paula Modersohn-Becker gerade in diesen Menschen am Rande der Gesellschaft eine »große biblische Einfachheit«. Es beeindruckte sie, mit »wie wenig ein gutes Herz doch zufrieden ist«. Diese in der einfachen naturgebundenen Existenz entdeckte Humanität erhob die Malerin zum Inhalt ihrer Kunst. So zielt die Vereinfachung der Formgebung auf eine behutsame symbolische Aufladung der Darstellung ab, bei der es weniger um das individuelle Schicksal, als vielmehr um das darin verborgene naturverbundene menschliche Sein geht. Deswegen ist das Kind in die Baumgruppe eingebettet und in der innigen Umarmung des Lammes dargestellt. Zusammen mit dem kräftigen Farbauftrag lässt das Gemälde die Kraft und Größe dieses kreatürlichen Seins spürbar werden.