Wie bei Grützke erscheinen auch in einzelnen Werken Pavel Feinsteins Affen und andere Tierfiguren als Spiegelbilder menschlicher Existenz. Feinstein, 1960 in Moskau geboren, erlernte dort ursprünglich seinen Malstil und ist bis heute stark von altmeisterlichen Darstellungsweisen geprägt. Seine visuelle Überzeugungskraft lässt dem Betrachter die dargestellten Motive trotz ihres zum hohen Teil hohen Absurditätsgrades und ihrer hintersinnigen Komik mit der gleichen Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit wahrnehmen, wie sich auch in Träumen widersinnigste Dinge zueinander fügen. Schon 2010 hatte das Osthaus Museum dem Künstler mit russisch-jüdischen Wurzeln eine Einzelausstellung ausgerichtet. In der aktuellen Ausstellung begegnet das Publikum nun vermehrt Feinsteins Dialogen mit den Größen der Kunstgeschichte, insbesondere in Form von Figurenzitaten aus Werken von Diego Velazquez.

Während bei Feinstein sich Irritationen durch das Bildgeschehen auf einer eher subtilen Ebene einstellen, wirken die Werke Heike Ruschmeyers (geb. 1956) auf den ersten Blick schockierend, aufwühlend, peinigend. Ihre Darstellungen toter Kinder sind jedoch weit entfernt von den skandalisierenden Medienpraxen unserer Zeit. Ruschmeyers Arbeiten geben dem Geschehen und damit dem Betrachter Zeit - und bringen so eine grundlegende Bedingung in Erinnerung, ohne die Umgangsformen wie Würde und die Anerkennung der Verletzlichkeit des Menschen nicht möglich sind. Während die Künstlerin ohne Pathos und auf eine reduzierte, fein nuancierte Weise ihre Gemälde von gewaltsam zu Tode gekommenen Menschen mit Hilfe von gerichtsmedizinischen Fotoaufnahmen anfertigt, kann man in ihnen einen bewussten Gegenpol zu der gesellschaftlichen Tabuisierung des Todes sehen. Ihre Werke definieren sich jedoch nicht nur durch die Motive, sondern erreichen als ästhetisch anspruchsvolle, in hochdifferenzierter Malweise gestaltete Kompositionen ihre künstlerische Intensität.

Mit prüfendem Blick aus übergroßen Augen sieht Bettina Moras aus ihren Selbstporträts heraus den Betrachter an. Zu den Selbstbildnissen gesellen sich weitere Menschenbilder, mal Darstellungen namentlich benannter Personen, mal Menschengruppen, aber auch städtische Szenerien mit Verweis auf Berlin und oder Rom, sowie Stillleben. Mit bewegtem, kräftigem Pinselstrich werden die Figuren in Räume gesetzt, deren verzerrte Perspektiven auf sie zu reagieren scheinen. Starke Nahsichten und ungewöhnliche Blickwinkel treffen zusammen. Mal blickt die Künstlerin in einen fast körperhohen Spiegel, mal widmet sich ein hosentragendes Skelett in einer Zimmerecke der eigenen Reflexion im Handspiegel. Teils fein gemalt, teils dynamisch-expressiv, zeichnen sich die zwölf gezeigten Ölbilder durch intensive Farben und eine dichte Malweise aus. Sie erlauben Assoziationsketten von Cezanne über das „Kabinett des Dr. Caligari“ bis hin zu lichten italienischen Impressionen.

Die Werke von Lilli Hill (geb. 1976) führen die Selbstbefragung im Spiegel weiter. Ihre imposanten Akte, für die vornehmlich ihr eigener Körper als Vorbild dient, spielen mit Gestik und Körpersprache. Während die großformatigen Gemälde einerseits die üppige Sinnlichkeit des Körpers freizügig zur Schau stellen, werden durch sakralisierende Posen und beziehungsreiche Accessoires zugleich spirituell-allegorische Elemente eingefügt. In ihrem Malstil bezieht sich Hill bewusst auf die Altmeister, schöpft aus der Kunstgeschichte und lässt sich insbesondere von der Fleischigkeit und Farbigkeit der Werke von Peter Paul Rubens inspirieren. Mit der illusionistischen Darstellung nackter Körperhaftigkeit und den meist erotischen Posen will Lilli Hill keine Verfügbarkeit suggerieren, sondern baut vielmehr einen gewissen Abstand zum Betrachter auf, indem sie ihn oft auf eine untersichtige Perspektive beschränkt, den Körper malerisch als glatte Oberfläche wiedergibt, und die weibliche Mimik Stolz, Unzugänglichkeit und eine starke Selbstbezogenheit ausstrahlen lässt.

Mit einem fahlen, wie irrlichterndem Blick schaut der Mann mit den Schwimmflügeln bei Torsten Holtz aus dem Bildfeld heraus. Merkwürdig blass und unbeteiligt, ein wenig steif und regungslos. Auch in den intelligent komponierten Menschengruppen gibt es keinen Blickkontakt der Protagonisten untereinander, keine Sprache, kein Sich-Erkennen, und isolierte Gesten ohne bestimmte Richtung machen den Raum allenfalls als geformte Leere spürbar. Kühle Farben bilden glatte Oberflächen, ebenso unzugänglich bleiben die Geschichten hinter den Figuren, selbst – und gerade wenn – sie den Betrachter anzublicken scheinen. Die Werke des 1973 in Berlin geborenen Künstlers zeigen keine Wege aus dieser Situation heraus, ja, fordern solche Auswege noch nicht einmal ein, son-dern zeigen ihre stilisierten Figuren verharrend in sicherer Distanz, in stiller Genügsamkeit mit sich selbst.

Andreas Leißners Bildpersonal erscheint eingerahmt durch große Maschinen oder erdrückende Architekturen. Die Körper der jungen Männer erscheinen unvermittelt und zum Teil durch die Apparaturen verdeckt im Bildfeld, mal nahsichtig, mal aus weiterer Entfernung gesehen. Sie scheinen durch die sie umgebenden Strukturen beengt zu sein, isoliert und wie stillgestellt, und dennoch verteidigen sie ihre Position. Ihr stechender Blick und ihre teils sogar explizit drohende Haltung heißt den Betrachter nicht willkommen. Eingeschlossen in die Mechanismen der Technik, vermag der Einzelne sich nicht aus diesen zu lösen, auch wenn ihm augenscheinlich der unkritische Fortschrittsglaube inzwischen abgeht. Anstelle des heroischen Arbeiters und des schöpferischen Entdeckers finden sich bei dem 1978 in Berlin geborenen Meisterschüler von Volker Stelzmann als Bildpersonal Beobachter, Spione, Wächter, Drohende und Aggressoren.

Eine flirrende, unruhige Atmosphäre charakterisiert die Bildwelten von Johannes Heisig. In einer dramatischen Gleichzeitigkeit der Ereignisse wuchern mehrschichtige, nicht mehr exakt fassbare Strukturen. Die expressive Malerei des 1953 in Leipzig geborenen Malers verweigert sich der Eindeutigkeit, sie zieht den Betrachter in eine Akkumulation von Zeichen, Gegenständen, Architekturkulissen und menschlicher Wesen hinein. Wie die Motive überlagern sich auch die erzählten Geschichten, wirken aufeinander ein. Mit der Zeit kann so beim Betrachter ein neuer Blick, ein besonderes Gefühl entstehen für die größeren Zusammenhänge, die existentiellen Themen wie Aggression, Schmerz, Einsamkeit… Dann wieder fesseln die grandiose Leuchtkraft seiner Bilder und die kühnen Farbsetzungen den Blick, während Heisigs Porträts, Landschaften, Stillleben und Bühnenszenen die Realitäten derweil immerfort weiter aufhäufen, verbinden und verdichten.

Michael Sowa (geb. 1945 in Berlin) präsentiert in seinen meisterlich gemalten Bildern Begegnungen und Szenen, deren absurd-satirischer Charakter sich nicht im Bildwitz erschöpft, sondern dem Menschen auf kritische Art einen Spiegel vorhält. Das Tier als Sinnbild der Natur, von der sich der Mensch zunehmend distanziert, verschmilzt hier auf eigentümliche Weise mit dem Menschen und seinen Gewohnheiten. Die Bilder öffnen so den Blick für die Eitelkeiten und Unzulänglichkeiten menschlichen Verhaltens und die tat-sächliche Nähe zwischen Mensch und Tier. Der 1945 in Berlin geborene Künstler Maler veröffentlichte im Satiremagazin Titanic, illustrierte Bücher und Zeitschriften und publizierte unter dem Pseudonym Heinz Obein gemeinsam mit Axel Hacke. In der Hagener Ausstellung sind u.a. die Gemälde Filmhund und Geflügel mit Perlen zu sehen, die in dem Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ zu sehen waren.

Die Malweise Volker Stelzmanns lehnt sich an den Stil der italienischen Manieristen des mittleren 16. Jahrhunderts an, während die dargestellten Figuren in Kleidung und Gestik eindeutig unserem Zeitalter zuzuordnen sind. Sie scheinen wenig Verbindung zu dem sie umgebenden Raum zu haben, was ihnen zuweilen eine Aura der Würdehaftigkeit verleiht. Den eher mittelformatigen Porträts stehen mehrteilige Werke, Triptychen und großformatige Tafelbilder zur Seite. In Straßenszenen und Panoptikum-artigen Zusammenstellungen sind Figuren zu sehen, die trotz ihrer Ausstattung mit Nietengürteln, hohen Schuhen oder Punkfrisuren in ihrer Bleichheit und oft gebückten Haltung einen seltsam entrückten, vereinsamten Eindruck machen. Der 1940 in Dresden geborene Künstler studierte in Leipzig und wurde als einer der Hauptvertreter der sogenannten „Leipziger Schule” bekannt. Der sachlich-realistische Stil und der gesellschaftspolitische Hintergrund seiner Arbeiten verbindet ihn mit großen Namen wie Otto Dix und George Grosz. Stelzmann wurden zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland gewidmet und seine Werke sind in vielen großen Sammlungen mit Kunst dieses Jahrhunderts vertreten.


Katalog:
Aus Berlin: Pavel Feinstein, Johannes Grützke, Johannes Heisig, Lilli Hill, Torsten Holtz, Andreas Leißner, Bettina Moras, Heike Ruschmeyer, Michael Sowa und Volker Stelzmann (Verlag Seltmann und Söhne, 142 Seiten, 105 farbige Abb., Euro 19,80. Hrsg. Tayfun Belgin, Beiträge von Tayfun Belgin, Gerhard Charles Rump und Manfred Schwarz), ISBN: 978-3-934687-00-0