Ernst Ludwig Kirchner, Fischerboote, 1914, Osthaus Museum Hagen, Fotografie: Achim Kukulies, Düsseldorf



Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)
Fischerboote, 1914
Öl auf Leinwand


Die Bilder der »Brücke«, die vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs entstanden, bringen sensibel die neue Sicht der Expressionisten auf eine von Unruhe und Instabilität geprägte Welt zum Ausdruck. Die Welt als Ganzes fällt in ihren Darstellungen ins Bodenlose, nervöser Pinselduktus und übersteigerte Farbigkeit weisen beunruhigend in die Zukunft. Ernst Ludwig Kirchner malte 1913/14 Bilder, die seine zunehmenden Ängste angesichts eines bevorstehenden Krieges und der drohenden Einberufung belegen. Gequält von innerer Unruhe und Nervosität, verbrachte der Künstler zusammen mit seiner Lebensgefährtin Erna Schilling 1914 seinen letzten Sommer auf der Ostseeinsel Fehmarn. In seinen Gemälden, Zeichnungen und Grafiken, die der Maler 1912 bis 1914 auf der Insel oder nach seiner Rückkehr in Berlin fertigte, findet sich wiederholt das Motiv des Fischerbootes. Oft diente es dem Künstler als malerische Kulisse in Bildern, die von sommerlicher Lebensfreude und sorgloser Ausgelassenheit erzählen.

Das Hagener Bild entstand dagegen ganz unter dem Eindruck seiner angeschlagenen Psyche. Im Sinnbild des steuerlosen Bootes, in dem die Menschheit wehrlos einer ungewissen Zukunft entgegensegelt, dabei stets der Gefahr eines »Sturzes in die Tiefe« ausgesetzt, vermittelte Kirchner das Gefühl des Ausgeliefertseins in einer von Kriegsangst geprägten Zeit. Fünf Männer zeigt der Künstler als Schicksalsgemeinschaft in einem Segelboot, das weniger an ein verlässliches Fischerboot, als vielmehr an eine schwankende Nussschale denken lässt. In entspannt lockerer Haltung zeigt der Künstler die Bootsinsassen, skizziert mit wenigen schnellen Pinselzügen, während sich der kleine Segler gegen Wind und Wellen zu behaupten sucht. Auf ein im Hintergrund vorbeiziehendes Boot malte Kirchner eine schwarze Gestalt, einem unheilvollen Schicksalsboten gleich, der vom nahen Untergang kündet. Und doch lässt ein Lichtstreif am Horizont noch auf ein gutes Ende hoffen. In der Entscheidung des Malers, die Weiten des Meeres und des Himmels in Grün, der Farbe der Hoffnung auf Leben und Überleben, zu malen, offenbart sich sein Wunsch nach Frieden. Die Bildidee gründet vielleicht auf eine Laune des Künstlers im Sommer 1914, als er sich vornahm, aus einem selbst gefällten Baumstamm einen Einbaum zu bauen. Wie sich herausstellte, ein unsicheres, labiles Gefährt, das, zu Wasser gelassen, sofort kippte und unterging.

Die unbeschwerte Zeit auf Fehmarn endete für Kirchner mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 1. August 1914. Viele Expressionisten meldeten sich kriegsbegeistert freiwillig an die Front. Sie sprachen dem Krieg kathartische Kräfte zu, welche die alte, als bedrückend empfundene Ordnung hinwegfegen würden. Auch Kirchner war wohl anfangs dieser Überzeugung. Seine Entscheidung, sich im Frühjahr 1915 freiwillig zur Feldartillerie in Halle, fernab der Fronten, zu melden, begründete sich nämlich eher in seinen Ängsten, als Frontsoldat eingezogen zu werden. Schon wenige Monate später brach er psychisch und physisch zusammen.