Christian Rohlfs, Rotes Haus in Dinkelsbühl, 1921, Osthaus Museum Hagen, Fotografie: Achim Kukulies, Düsseldorf


Christian Rohlfs (1849–1938)
Rotes Haus in Dinkelsbühl, 1921
Tempera und Öl auf Leinwand


Anlässlich des 70. Geburtstages von Christian Rohlfs im Jahr 1919 resümierte sein Mentor Karl Ernst Osthaus dessen Entwicklung: »Über Nacht ist er ein großer Mann geworden, dessen Ausstellungen meist schon wenige Tage nach der Eröffnung ausverkauft sind. Man hat begriffen, endlich begriffen, daß sich in keinem Zweiten das Schicksal der deutschen Malerei des letzten halben Jahrhunderts gewaltiger vollzog.« Kein deutscher Künstler der Generation von Rohlfs aus der Mitte des 19. Jahrhunderts hat einen derart weiten Bogen von der traditionellen Historienmalerei über die klassische Freilichtmalerei, den Impressionismus und Neoimpressionismus bis zur expressionistischen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts gespannt. Rohlfs selbst schrieb im Oktober 1911 über seine Bestrebungen an seinen jungen Künstlerfreund Walther Bötticher: »Ich male im Zimmer was man früher verächtlich aus dem Bauch nannte und versuche alles Mögliche vom Realismus loszukommen.«

Dem eigenwilligen Maler gelang es Zeit seines Schaffens, trotz der Fülle der Anregungen seine Eigenständigkeit zu wahren. Seine Auseinandersetzung mit den künstlerischen Strömungen der Zeit erfolgte weniger auf theoretischer Ebene, sondern in erster Linie durch die künstlerische Praxis, während des Arbeitsprozesses, im unmittelbaren Umgang mit Material und Technik, mit Themen und Motiven. Unermüdlich experimentierte er mit verschiedensten Techniken. Er arbeitete nicht nur parallel mit diversen Materialien, sondern setzte diese auch im Sinne der Mischtechnik in einem Werk gleichzeitig ein. Ein Beispiel für diese Vorgehensweise ist das Alte Haus in Dinkelsbühl von 1921, bei dem er Öl und Tempera kombinierte.

Bewegte Pinselzüge konturieren die Architektur eines breit gelagerten Fachwerkhauses, dessen tief abgeschlepptes Dach als leuchtendes Rot sich gegen das Braunschwarz der Fachwerkfassade und den schmutzig weißen Himmel abhebt. Die Kraft der Pinselzüge verleiht dem Gebäude ein zerfurchtes Antlitz und lässt etwas von der bodenverhafteten Widerständigkeit des alten Fachwerkhauses gegen den Lauf der Zeit erahnen, die Rohlfs gespürt haben mag. Bauernhäuser haben bei ihm, womöglich in Erinnerung an seine Kindheit auf dem elterlichen Bauernhof, stets eine große Faszination ausgelöst und in zahlreichen Darstellungen von den frühen Studienjahren bis ins Spätwerk hinein ihren Ausdruck gefunden. Mehrfach hat Rohlfs in Briefen an Osthaus davon geschwärmt: »Ich bin entzückt von den hiesigen Bauernhäusern, in und auswandig sind sie ganz wundervoll. So habe ich mich denn auch sofort an sie herangemacht, so vieles und gutes wie möglich davon heimzubringen.« Das Wundervolle an alten Fachwerk- und Bauernhäusern schien für Rohlfs einerseits in ihrer Gebundenheit an den Natur- und Landschaftsraum zu liegen, andererseits in den im Laufe des Alterungsprozesses eintretenden Unregelmäßigkeiten des Gebäudekörpers, der den Häusern ihren unverwechselbaren Charakter verleiht. So erscheinen die Bauten mit ihren durchhängenden oder schiefen Dächern und dem bewegten Raster des Fachwerks wie lebendige Körper mit ausgeprägten Eigenheiten.