Michael Schnabel: Langkofel I, 2010, 160x220 cm, recom ditone Print



 
MICHAEL SCHNABEL –
 
NACHTSTÜCKE UND WEISSES LAND
 
FOTOGRAFIEN AUS DEM WERK 2001-2010
11. SEPTEMBER BIS 6. NOVEMBER 2011



Das Osthaus Museum zeigt die erste umfassende Übersicht aller wichtigen Werkgruppen des international renommierten Fotografen Michael Schnabel.
Im Jahr 2003 eröffnete Schnabel dem Medium Fotografie neue Wege: seine Bilder zeigten Berge in Westeuropa als solitäre Nachtstücke, die nicht vom Licht, sondern fast gänzlich von der Dunkelheit gezeichnet waren.
In der Stille der Nacht suchte einer, scheinbar naiv, ausgerechnet bei den millionenfach abgelichteten Alpen das Wesen der Berge neu zu ergründen. Der reduzierte Einsatz der Photonen in der Langzeitbelichtung – exakt auf der Grenze zur Sichtbarkeit – wurde zum bewussten Stilmittel.
Mit seiner neuen Serie „Weißes Land“ lotet der Künstler nun das Spannungsfeld zwischen Abstraktion und Konkretion vom radikal entgegengesetzten Pol her aus.
Hauptwerke dieser Serie werden in Hagen erstmalig öffentlich präsentiert und eröffnen einen neuen Zugang zu Michael Schnabels systematischer Befragung des Sehens, die ohne Vergleich ist.

Zu der Ausstellung erscheint ein Katalog.




Tayfun Belgin
 
Radikale Fotografie
Die Welt in ihrer Erscheinung

Der Bristen: 3073 m hoher Berg in den Glarner Alpen; formschöner, pyramidenförmiger und monumentaler Gipfel, welcher das Landschaftsbild des Urner Reusstales von weitem prägt (Abb.1). Ein mächtiger Berg. Der Fotograf Michael Schnabel zeichnet ihn (auf) mit seiner Kamera, in der Stille der Nacht, in der Einsamkeit des Alpenwanderers.

In der Erscheinung der auf einem besonderem Träger vergrößerten Fotografie dieses Motivs sieht das betrachtende Auge einen dunkel gehaltenen Vordergrund mit einem hellgrauen Gipfel. Auch wenn der Berg dunkel erscheinen mag, ist er nicht schwarz; er ist reich an nuancierten Schattierungen von Schwarz, Grau und Weiß. Ähnliches erleben wir bei den Leoganger Steinbergen oder beim Riffelhorn an der Südwand der Waliser Alpen. Diese mächtigen Steinmassive zeigen sich in diesen Fotografien in einem schleierhaften Zustand, vor allem, wenn sie zwar von Weitem aufgenommen und doch ganz nah – auf Betrachterhöhe – ansichtig werden. Die diesen Bergen zugesprochene Unnahbarkeit wird in einem bestimmten Moment der Aneignung durch das Auge aufgehoben. Die trotz Wolkenschleier sichtbaren Gipfel offenbaren etwas fast menschliches, handelndes und dies im Modus eines eigentlich abstrakten Blickwinkels und eines abstrahierten Gegenstandes. Wir empfinden Nähe, obwohl der Gegenstand Berg auf seine wesentliche Erscheinung abstrahiert worden ist.

Michael Schnabel ist dafür bekannt, dass er mit seiner Fotografie an die Grenzen des Sichtbaren geht. Er ist dafür bekannt, dass er mit seiner Werkserie „Stille Berge“ und den weiteren Nachtstücken eben diese erhabenen Landschaftswunder nicht vom Licht bescheinen, sondern sie von der Dunkelheit zeichnen ließ. Durch eine Belichtung von etwa einer Stunde, sammelt die Großbildkamera die Lichtmenge, die nötig ist, um die Erscheinung eines Berges wie den Bristen in dieser leicht aufgehellten Dunkelheit festhalten zu können.

Es ist leicht nachzuvollziehen, dass der Fotograf kein wie auch immer geartetes romantisches Verlangen nach simpler Schönheit und majestätischer Erscheinung hat. Seine Berge, Ozeane, die Museen bzw. die Aufnahmen mit Himmel und Wolken entsprechen keiner Postkartenästhetik. Die im Offset-Verfahren gedruckten Bilder im vorliegenden Katalog geben auch nur einen kleinen Hinweis auf die Qualität der in der Ausstellung zu sehenden Fotografien in ihrer haptischen Erscheinung. Wie bei der Malerei müssen auch Schnabels Bilder im Modus des Originals gesehen werden. Dies ist unabdingbar.

Berge, Wasser, Himmel und jüngst auch Museumsinterieurs sind die bevorzugten Motive des Fotografen Schnabel. Licht und Abwesenheit von Licht bilden die formale Klammer, in diesen Werken, die- als je einzelne Arbeit- ein optisches Phänomen darstellen. Intendiert ist keine szenische Darstellung, sondern eine absolute Konzentration auf eine pure Fotografie, die ungestört erscheinen will. Betrachtet man diese Werke einmal nicht von ihrer motivischen Erscheinung, sondern von erkenntnistheoretischer Seite, so stellen wir fest, dass Michael Schnabel sich von dem ihm darbietenden Gegenstand entfernt. Allerdings wird der Gegenstand in seiner Gegenständlichkeit nie eliminiert, sondern vielmehr hinterfragt.
In einem Interview äußerte Michael Schnabel sich einmal so: „Ich wollte ein Bild der Berge schaffen, das sich abhebt von den bisherigen Betrachtungsweisen.“

Dieses Abheben von traditionell ästhetischer Betrachtung führte in die Welt der gegenstandslosen Fotografie. Die Natur, die Schnabel benötigt, da er von einer äußeren Erscheinung ausgeht, ist in diesen Werken lediglich ein Vehikel. Sie erscheint in einer besonderen Lichtsituation, die mehr versteckt als freigibt. Der Berg wird in aller Regel reduziert auf eine Nahansichtigkeit, die faszinieren mag, doch was erfahren wir letztlich von den Bergen, ihrem Standort, von der Vegetation in unteren Lagen?
Es sind keine Naturaufnahmen mittels der man Natur als ortspezifischen Gegenstand identifizieren muss.

In seinen sehr lichten Bildern aus der Bildfolge „Weißes Land“ (Abb.2) wird diese optische Grenzerfahrung weiter radikalisiert. Die immer stärker stattgefundene Reduktion des Bildgegenstandes führt zu einer Nichtsprachlichkeit auf Betrachterseite. Es ist nicht so sehr die Erfahrung von Erhabenheit – im Sinne von Überwältigtsein oder Erschrockenheit –, die diese Bilder uns darbieten. Diese Werke fordern uns auf Fragen nach der Erkennbarkeit von Welt zu stellen. Nichts ist so wie es scheint. Wie viel von Welt erkenne ich? Mit Platon formuliert sehen wir nur Schatten. Die stets wandelbaren Objekte der Sinneserfahrung gehören zu einer oberflächlichen Welt des Wissens. Nicht die Welt der Erscheinungen, sondern die Welt der Ideen bestimmt die Wahrheit. Die in den Bildern Michael Schnabels erscheinende Welt eines Eismeeres lässt Seinsschichten aufblitzen. Der Fotograf erkennt, dass er die Welt nicht abbilden kann. Er kann der Wahrheit in dieser Welt nahe kommen, in dem er sich mit den Erscheinungen dieser Welt wie: Licht, Dunkelheit, Strukturen, Formen auseinandersetzt. Seine manchmal auf äußerste reduzierten Bilder sind Analogien zu existentiellen Fragestellungen.

Jenseits erkenntnistheoretischer Betrachtungsweise lässt sich über diese Bilder zusammenfassend sagen: sie faszinieren durch ihr Anderssein. Diese Fotografie bildet sich selbst ab. Das ist ihr substantieller Bezug zur Malerei. Gemalt verlören diese Bilder ihre Authentizität. Diese Fotos sind elementar. Sie sind.


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