Otto Mueller, Mädchen am Wasser, um 1926, Osthaus Museum Hagen, Fotografie: Achim Kukulies, Düsseldorf


Otto Mueller (1874–1930)
Mädchen am Wasser, um 1926
Leimfarbe auf Leinwand


Das um 1926 entstandene Gemälde Mädchen am Wasser zeigt eines der zentralen Themen im Werk Otto Muellers: weibliche Aktdarstellungen in freier Natur. Die Komposition ist ringförmig um die Darstellung eines Teiches angelegt, wobei der Vordergrund durch dichtes Gestrüpp bestimmt wird, vereinzelt durchbrochen von Felsbrocken, und der Hintergrund eine Hügellandschaft zeigt, die kaum Raum für eine Himmelszone lässt. In der dargestellten Szene entsteigt die linke Aktfigur gerade dem Teich, in dem sie anscheinend zuvor gebadet hat. Die rechte weibliche Figur sitzt am Ufer, das rechte Bein angewinkelt, das linke ins Gras ausgestreckt. Ihren leicht gesenkten Kopf hat sie auf die Hand ihres rechten Armes gestützt, dessen Ellbogen wiederum auf dem angewinkelten rechten Knie liegt. So entsteht der Eindruck einer entspannt Ruhenden, zu der die andere in lebendiger Bewegung befindliche Figur einen Gegenpol markiert.

Farblich ist die dargestellte Natur mit Ausnahme der Felsbrocken in überwiegend dunklen Grün- und Blautönen gehalten, sodass die zwei hellen Akte deutlich aus ihrer Umgebung hervortreten, ohne jedoch eine farbliche Dissonanz hervorzurufen. Sie erscheinen im Gegenteil harmonisch mit der Natur verbunden, wozu auch die Formgebung beiträgt. Indem die Körperhaltung der ruhenden Figur eine gebogene Linie von ihrem Kopf über den linken Arm zum ausgestreckten linken Bein zieht, fügt sie sich passend in die ringförmige Komposition der Landschaft ein. Auch der zur Seite geneigte Kopf der badenden Figur ist Teil dieses imaginären Kreises. Ganz anders jedoch ihr Körper. Er ist genau gegen die Ringform geneigt und lädt die Szene dadurch dynamisch auf. In seiner geradlinig-kantigen Haltung entspricht er dabei jedoch den sprießenden Gewächsen im Vordergrund. So markieren die zwei weiblichen Akte figürliche Entsprechungen einer Natur, für die Wachstum und Lebendigkeit zwar konstitutiv sind, die vom Menschen aber meist als Ort der Ruhe erlebt wird.

Das Motiv des Aktes in der Natur zieht sich kontinuierlich durch das Werk Otto Muellers. Es steht im Kontext der Idee einer Einheit von Mensch und Natur, wie sie als Reaktion auf Industrialisierung und technischen Fortschritt insbesondere durch die Lebensreformbewegung um 1900 formuliert wird. In Muellers Bildwerken verbindet es sich zudem mit dem klassischen Malerei-Thema der Badenden. Das Interesse an diesem Motiv verbindet Mueller zwar mit den »Brücke«-Künstlern, deren Vereinigung er ab 1910 bis zur Auflösung 1913 eher unverbindlich angehörte, jedoch sind gewisse Differenzen festzustellen. Neben einer insgesamt mehr auf Harmonie zwischen Mensch und Natur gerichteten Auffassung sind seine Werke durch eine anatomische Darstellung gekennzeichnet, die besonders im Zusammenwirken der einzelnen Körperteile stärker der Wirklichkeit zu entsprechen vermag, als es in zahlreichen Werken der »Brücke«-Kollegen der Fall ist. Dies zeigt Mädchen am Wasser zum Beispiel in Abgrenzung zu Kirchners Gemälde Badende (Fehmarn), das ebenfalls zur Sammlung des Osthaus Museums gehört.